© DAV Lübeck/Roman Weikert

Ein Verrücktes Wochenende im Tauferer Ahrntal

Hochtour auf den Großen Löffler und das Schneebiger Nock

07.07.2023

Seit einigen Jahren nehme ich mir vor, unsere Touren in den Alpen besser zu dokumentieren und vielleicht sogar einmal das ein oder andere Wort darüber zu schreiben. Dies und der Aufruf nach Beiträgen in den letzten Ausgaben des Lübecker Wegs haben mir den Ruck gegeben, einen kurzen Bericht zu unserem vergangenen „Verrückten Wochenende“ zu schreiben.

Am zweiten Juli-Wochenende des vergangenen Sommers bin ich mit meinem Cousin ins Tauferer Ahrntal aufgebrochen, von wo aus wir den Großen Löffler und ein Gipfel-Quartett um den Schneebigen Nock besteigen wollen...

  1. Blick vom Kreuzkofl ins abendliche Ahrntal
  2. Überschreitung der Randspalte bei Aufstieg in die Trippbachscharte
  3. Gipfel der Trippbachspitze

 

  1. Am Südgrat des Großen Löfflers
  2. Blick vom Gipfel des Großen Löfflers auf den Hauptkamm Richtung Großvenediger
  3. Blick ins Antholzer Tal vom Gipfel des Magersteins
  1. Rückblick auf den Weg über die Gipfel des Westlichen Riesenferners
  2. Am Gipfel des Schneebigen Nock
  3. Rückkehr zur Kasseler Hütte
  4. Der Hochgall im Abendlicht

Verrücktes Wochenende 2023

Seit einigen Jahren nehme ich mir vor, unsere Touren in den Alpen besser zu dokumentieren und vielleicht sogar einmal das ein oder andere Wort darüber zu schreiben. Dies und der Aufruf nach Beiträgen in den letzten Ausgaben des Lübecker Wegs haben mir den Ruck gegeben, einen kurzen Bericht zu unserem vergangenen „Verrückten Wochenende“ zu schreiben.

Die Geschichte unseres „Verrückten Wochenendes“ beginnt im Sommer 2015, als mein Cousin und ich mit unseren Frauen in einer komplett verregneten Urlaubswoche in Südtirol alle Tourenpläne verwerfen mussten. Daraufhin beschlossen wir, nicht immer nur auf gutes Wetter in den Urlaubswochen zu hoffen, sondern einfach mal spontan für ein Wochenende in die Berge zu fahren und Touren zu unternehmen, wenn das Wetter stabil angesagt ist. Was für den Süddeutschen eher Normalität als verrückt ist, gestaltet sich für unsereins zu einer wahren Kosten-Nutzen-Abwägung ob der in der Regel ca. 1000 km langen Anreise - mal abgesehen davon, dass es oft innerhalb von 24 Stunden von Meereshöhe auf 3000 Meter hinaufgeht. Vier Wochen nach dieser Überlegung war es dann aber schon so weit und wir hatten ein überwältigendes Wochenende im Zillertal mit Besteigungen der 3000er Rauchkofel und Olperer. Seither hat das Verrückte Wochenende Tradition. Touren, Anreise und der ein oder andere Seilpartner ändern sich, der Ablauf ist stets ähnlich. Passt das Wetter an einem der freigehaltenen Wochenenden, so werden flott Touren geplant, Urlaubsanträge eingereicht und los geht’s. Abends trifft man sich in der alten Heimat (Harz), nachts drauf findet die Fahrt in die Alpen und in der Regel direkt bei Ankunft der erste Hüttenaufstieg statt. An Tag zwei und drei folgen Gipfeltouren, an Tag vier geht’s zurück nach Hause, häufig noch mit Hüttenabstieg vorab.

So zieht es meinen Cousin und mich am zweiten Juli-Wochenende des vergangenen Sommers ins Tauferer Ahrntal, von wo aus wir den Großen Löffler und ein Gipfel-Quartett um den Schneebigen Nock besteigen wollen.

Der Große Löffler ist mittlerweile eine Herzensangelegenheit für uns. Jedes Jahr steht er auf der Tourenliste, jedes Jahr wird uns bei Anruf an der Greizer Hütte auf Zillertaler Seite vom Aufstieg abgeraten. So auch dieses Jahr: Das Floitenkees sei schon recht aper und steinschlaggefährdet, ein paar Tage zuvor habe es zwei Hubschraubereinsätze gegeben. Also beschließen wir, den Gipfel über das südseitige Trippbachkees anzugehen. Die Nachtfahrt ins Ahrntal ist nicht sehr erholsam, aber dafür erreichen wir am frühen Nachmittag den Gasthof Stalila auf 1472m, wo wir unser Auto abstellen und den ca. 2-stündigen Aufstieg zur Kegelkasslalm beginnen. Hier gibt es auf Anfrage bis zu 10 Lagerplätze, wir sind in dieser Nacht die einzigen Gäste und genießen unser Privat-Lager und die Gastfreundlichkeit der Wirtsleute. Nach dem Abendessen entschließen wir uns, noch eine „Erkundungstour“ auf den direkt an der Alm aufsteigenden Kreuzkofl (2420m) zu machen, um dort die Sonnenuntergangs-Stimmung einzufangen und einen Blick auf die morgige Aufstiegsroute zu ergattern. Die Ausblicke von oben auf die noch höher vor uns aufragenden Gletscher und Gipfel des Hauptkamms und in das tief abfallende Ahrntal im Abendlicht sind beeindruckend. Wir genießen die Ruhe noch etwas und machen uns bei Einsetzen der Dunkelheit auf den Rückweg zur Hütte. Nach ungewohnt gutem Hüttenschlaf beginnen wir am nächsten Tag unseren Aufstieg um 5 Uhr. Das Wetter macht uns etwas Sorgen, hängen die Wolken doch recht tief und trüben die Sicht. Der Steig führt von der Hütte in einem weiten Bogen durch Fels- und Moränengelände und wir finden zügig einen geeigneten Anseilplatz am Trippbachkees. Die Bedingungen am Gletscher sind gut und die Gipfel befreien sich von den Wolken, welche nun als kompaktes Bett unter uns liegen. Mit jedem Höhenmeter wird dieses Schauspiel imposanter. An der Trippbachscharte, dem Übergang auf österreichische Seite, müssen wir zunächst die Randspalte überwinden und in einer noch leicht vereisten Rinne zum Sattel aufsteigen. Die Warnungen des Wirtes der Greizer Hütte noch im Hinterkopf entschließen wir uns gegen die Querung auf dem Floitenkees mit Gipfelanstieg über steile Schneefelder auf Zillertaler Seite (den eigentlichen Normalweg) und nehmen stattdessen den direkten Gipfelfgrat zum Großen Löffler, auf dem die Trippbachspitze noch ein Etappenziel ist. Die Kletterei im 2. Grad ist uns heute Morgen sympathischer als der Normalweg und macht richtig Spaß. Im Schlussanstieg geht es über einen steilen Geröllrücken und Schneefelder auf den Gipfel des 3378 Metern hohen Großen Löfflers, den wir nach 5 Stunden erreichen. Die Sicht ist überwältigend, die Wolken von südtiroler Seite stürzen unter uns wie ein Wasserfall über den Hauptkamm nach Norden. Wir genießen den Ausblick und die Rast auf diesem so lange ersehnten Gipfel. Den Abstieg nehmen wir mit maximaler Konzentration über die steilen Schneefelder des Normalwegs und das obere Floitenkees bis zur Scharte zurück. Am frühen Nachmittag erreichen wir die Kegelgasslalm, wo Weizenbier und Brotzeit hervorragend schmecken und uns für die Rückkehr zum Auto motivieren. Es folgt eine kurze Fahrt talauswärts in den Ort Rein in Taufers am Fuße des imposanten Hochgalls, Hauptgipfel der Riesenfernergruppe. Wir wollen am Abend noch zur Kasseler Hütte als Ausgangspunkt für die morgige Tour aufsteigen. Die knapp 2000 Hm im Aufstieg am heutigen Tage merken wir dann doch und sind froh, als wir pünktlich zum Abendessen die Hütte erreichen. Die Hütte platzt aus allen Nähten, da eine ca. 60-köpfige italienische Gruppe mit mehreren Bergführern im Rahmen eines Hochtouren-Kurses zu Besuch ist und es am letzten Abend ordentlich krachen lässt. Bei sehr gutem 4-Gänge-Menü und einigen Bieren beraten wir uns, ob wir in der Früh doch lieber die herrliche, aber lange und ausgesetzte Gratkletterei zum Hochgall in Angriff nehmen oder eine kombinierte Mehrgipfeltour mit Überschreitung des Schneebigen Nocks unternehmen. Wir entschließen uns für Letzteres, da wir trotz allem Reiz des Hochgalls auch mit dem Schneebigen Nock noch eine Rechnung offen haben. Am nächsten Morgen geht es zügig über zunächst flaches Gelände zum Gletscher des westlichen Riesenferners. Über Schliffplatten geht es zuletzt steiler empor und wir suchen uns einen geeigneten Anseilplatz. Der Schnee ist bereits zur frühen Stunde sulzig, glücklicherweise wird es mit jedem Höhenmeter etwas besser. Auf dem Gletscher steuern wir direkt auf den vor uns liegenden Gipfelkamm zu, hinter dem das Gelände steil Richtung Antholzer Tal abfällt. Wir wollen auf unserem Weg möglichst alle Gipfel mitnehmen und steigen am oberen östlichen Ende des Ferners auf den Blockgrat, auf dem wir unschwierig zum Magerstein (3273m) gelangen. Hier treffen wir auf eine Gruppe Einheimischer, die kurz darauf unterhalb des Gipfels Ihre Gleitschirme ausbreiten und ins Tal hinabfliegen. Lässige Vormittagstour (stellen wir etwas neidisch fest)! Wir gehen nach kurzer Rast wieder auf den Gletscher, um wenig später auf dem Grat den nächsten Gipfel der Kette zu erreichen. Hinter dem Frauenköpfl (3251m) bleiben wir schließlich immer auf dem Grat und steuern auf den Gipfelaufbau des Schneebigen Nocks zu. Das Gelände wird nun fordernder. Im Auf und Ab des schmalen Grates wechselt sich recht brüchiges Gestein mit scharfen, zum Teil nicht mehr ganz vertrauenserweckenden Firnschneiden ab. Beim Aufschwung zum Schneebigen Nock wartet schließlich noch eine knackige Klettersteig-Stelle, bevor es mit Kraxelei im ersten und zweiten Grad steil den stets brüchigen Gipfelgrat hinaufgeht. Der Ausblick am Gipfelkreuz in 3358 Metern Höhe entschädigt wenig später für alle Mühen. Der 360°-Blick schweift vom Hauptkamm über Großvenediger, Großglockner, Hoch- und Wildgall, die Dolomiten bis hin zu den Öztalern. Wir entdecken nun aber auch den vermeintlichen Grund, warum wir auf unserem Weg keinen Gegenverkehr. Der Schlussgrat zum Gipfel von Norden, auf dem wir nun in Richtung Kasseler Hütte wieder absteigen wollen, ist von einer scharfen Schneewächte bedeckt. Zusammen mit einem Einheimischen, der uns kurz vor dem Gipfel überholte, loten wir eine knappe Stunde unsere Möglichkeiten aus. Unser Wegbegleiter entschließt für einen heiklen Zwischenabstieg in die extrem brüchige Gipelflanke, um hinter der Wächte wieder auf den Grat aufzusteigen. Nach langem Zögern nehmen wir schließlich den Weg über die Wächte und fungieren dabei das Gipfelkreuz zum Standplatz um. Der Schnee ist weich, wir sacken zum Teil hüfttief ein, aber es geht alles gut. Nach diesem kurzen Nervenkitzel verläuft der restliche Abstieg vergleichsweise entspannt und wir treffen am Nachmittag wieder auf der Kassler Hütte ein. Der Abend dort ist das Kontrastprogramm zum Vorabend, gerade einmal sechs Übernachtungsgäste haben sich heute eingefunden. Wieder unterstützt das gute Essen die Regeneration und wir überlegen tatsächlich, ob wir unseren Aufenthalt noch um einen Tag verlängern und doch noch den Hochgall angehen, da auch das Wetter zumindest bis zum Nachmittag stabil bleiben soll. Letztlich geben wir uns aber mit dem Erreichten zufrieden, stoßen am Abend noch einmal an und steigen am nächsten Morgen nach dem Frühstück ins Tal ab. Wir schmeißen unser Equipment in den Kofferraum, steuern Richtung Brenner und kehren nach einem Tag auf der Autobahn, bei dem wir das wieder einmal erlebnis- und eindrucksreiche Wochenende Revue passieren lassen, nach Hause zurück.